Themenschwerpunkt: Das Replacement Child Syndrome
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Sprache/n: Deutsch, Spanisch
Stadt: Buenos Aires / Wesel
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Land: Deutschland
Themen: persönlichkeitsentwicklung, resilienz, biographische ressourcenarbeit, biografiearbeit, ersatzkinder
Ich biete: Vortrag, Moderation, Seminarleitung, Beratung, Training, Interview
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Leben lernen im Schatten eines Toten
Das unterschätzte Leid der Ersatzkinder
„Ich darf nur leben, weil du sterben musstest.“
Wie prägt solch ein Gedanke die Entwicklung und das weitere Leben?
Über Überlebensschuld, Selbstzweifel und das Finden der eigenen Identität.
Nicht jeder schneidet sich ein Ohr ab, aber das Schicksal van Goghs ist kein Einzelfall: Zahlreiche Menschen leiden unter Gefühlen der Minderwertigkeit, unerklärlicher Selbstsabotage, Selbstverletzung und Depressionen, ohne dass es einen Grund dafür zu geben scheint. Dabei könnte dieser – wie bei van Gogh – in der unverarbeiteten Trauer der Eltern über ein verstorbenes Geschwisterkind liegen.
Als Ersatzkinder gelten Menschen, die nach dem Tod eines Verwandten geboren werden und vom Familiensystem den Auftrag erhalten, das Leben des Verstorbenen fortzusetzen. In der Öffentlichkeit teilweise bekannt ist das Schicksal Vincent van Goghs, der seinen verstorbenen Bruder ersetzen sollte. Mit van Gogh sind Assoziationen wie „genial, kreativ und verrückt“ verknüpft. Dass er sich selbst ein Ohr abgeschnitten hat und am Todestag seines Bruders Suizid verübte, wirkt spektakulär und speist den Mythos um den berühmten Künstler. Von der Öffentlichkeit übersehen wird jedoch, dass Vincent van Gogh alles andere als ein Einzelfall war. Salvador Dalí, Carl Gustav Jung, Elvis Presley und viele andere berühmte Persönlichkeiten teilten sein Schicksal.
Doch wichtiger noch: Den bewussten oder unbewussten Auftrag, ein zuvor verstorbenes oder nicht geborenes Kind zu ersetzen, dessen Leben weiterzuführen, die Träume zu erfüllen, die mit einem anderen Menschen verknüpft waren und die Last, unter den Projektionen der Eltern und dem Vergleich mit einem idealisierten Anderen nicht als eigenes Individuum wahrgenommen zu werden, tragen unzählige Menschen mit sich, die im Alltag nicht weiter auffallen. Sie leben ein normales Leben, leiden unter unverständlichen emotionalen oder körperlichen Problemen und stellen auch oft Fachleute mit Symptomen vor ein Rätsel.
Im Erwachsenenalter leiden Ersatzkinder häufig unter Ängsten, Depressionen, Überlebensschuldgefühlen, selbstverletzendem Verhalten, Risikosucht und Suizidgedanken. Vor allem das Gefühl, niemals gut genug zu sein, ist charakteristisch für dieses Entwicklungstrauma, das bereits vor der Geburt des Kindes seinen Anfang nimmt und lebenslange Folgen nach sich zieht. Es ist begründet in dem Wunsch der trauernden Eltern, den Schmerz über den Verlust eines Kindes dadurch zu bewältigen, in dem dieses in einem anderen, eventuell sogar einem neuen, Kind „wiederaufersteht“ und weiterleben möge. Manchmal wird auch heute noch von Ärzten sogar dazu geraten.
Kinder, die von den Eltern bewusst oder unbewusst mit dieser Aufgabe belastet werden, haben wenig Möglichkeiten, sich selbst kennenzulernen und zu entfalten. Sie leben „ein falsches Selbst“, das mit vielfältigen emotionalen Problemen einhergeht: Gefühle der Leere, der Minderwertigkeit, Selbstsabotage und auch unerklärliche Wut sind häufige Begleiterscheinungen.
In der Psychotherapie werden diese Symptome oft bestimmten Pathologien wie Depressionen oder Suchterkrankungen und insbesondere auch narzisstischen oder Persönlichkeitsstörungen zugeordnet, die dann – vergeblich – mit den falschen Methoden behandelt werden.
Das Ersatzkind-Syndrom ist ein in Öffentlichkeit wie in der Psychotherapie weitestgehend verborgenes und noch wenig erforschtes Entwicklungstrauma. Eindrucksvoll formulierte Schellinski in ihrem Vortrag am 30. November auf dem Symposium den Ursprung des Leidens: »It was dead that rocked the cradle.« – Es war der Tod, der die Wiege schaukelte. Die Psychoanalytikerin und Buchautorin ist im deutschsprachigen Raum die führende Expertin für die Behandlung und Erforschung des Syndroms.
Schellinski berichtet von Patienten, die mehrere langjährige Psychoanalysen durchlaufen hatten, bis erst im hohen Alter die Ursache erkannt und behandelt werden konnte. Die Buchautorin Johanna Glasl, selbst ebenfalls ein Ersatzkind, war lange Zeit mit verschiedensten Diagnosen in psychiatrischen Kliniken und wurde frühverrentet, bis erkannt wurde, worunter sie wirklich litt. „This is not a pathology!“, sagte Schellinski jedoch deutlich auf dem Symposium am 30.11.2023 und ergänzte auf dem Psychotherapieforum Psycho Social Wednesdays am 17. 1. 2024: “So many replacement children have not been diagnosed, or falsely diagnosed, some have spent time in psychiatric hospitals labelled with all kind of diagnosis… In analysis, in therapy a replacement child, also an adult replacement child, born after the loss of a sibling or a surviving sibling can re-discover their true self in an individuation process, they can discover the unique individual they are! “ – So viele Ersatzkinder wurden nicht diagnostiziert oder falsch diagnostiziert, einige haben Zeit in psychiatrischen Kliniken verbracht und wurden mit allen möglichen Diagnosen abgestempelt… In der Analyse, in der Therapie kann ein Ersatzkind, auch ein erwachsenes Ersatzkind, das nach dem Verlust eines Geschwisters oder eines überlebenden Geschwisters geboren wurde, sein wahres Selbst in einem Individuationsprozess wiederentdecken, es kann das einzigartige Individuum entdecken, das es ist!
Das Ersatzkind-Syndrom ist sowohl in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit eine zu Unrecht viel zu oft übersehene Problematik. Ein verstärktes Bewusstsein in der Bevölkerung kann Lebensverläufe verändern, Leid mindern, das Gesundheitssystem entlasten, Arbeitskraft erhalten. Die Kenntnis darüber ist relevant sowohl für die Betroffenen als auch für trauernde Eltern und Ärzte, die – im guten Glauben, durch das Zeugen eines weiteren Kindes Leid zu mindern – zu einem zu frühen Zeitpunkt neues Leben in die Welt setzen oder dazu animieren – und unwissend dazu führen, dass ein neues Leben von Anfang an stark belastet wird.
Schellinski formuliert hier eindrücklich:
“When a human being is expected to replace a sibling, or to be a ‘revenant’, this person is not meant to be herself or himself but to be another person – actually, to be a dead person. Parents choose a new life to ‘beat’ death. But this can, in the case of a replacement child, lead to a life akin to non-existence.” – „Wenn von einem Menschen erwartet wird, dass er ein Geschwisterchen ersetzt oder ein “Auferstandener” ist, dann soll er nicht er selbst sein, sondern eine andere Person – eigentlich eine tote Person. Die Eltern wählen ein neues Leben, um den Tod zu „besiegen“. Aber das kann im Falle eines Ersatzkindes zu einem Leben führen, das der Nichtexistenz gleichkommt.
Und sie zitiert Cain & Cain, zwei Psychoanalytiker, die schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, warnten: “Grieve before you conceive!” – Trauere, bevor du empfängst.
Wenn das folgende Kind bewusst als eigenständige Person in die Welt gesetzt wird und nicht zu dem Zweck, den Trauerprozess abzukürzen, dann muss es kein Ersatzkind sein und hat die Chance auf eine normale Kindheit und eine gesunde Entwickung des eigenen Selbst. Auch hier möchte ich ein Bewusstsein schaffen.
Das Thema ist aktuell und relevant: Für die weltweite Prävalenz sprechen folgende Zahlen: Im Jahr 2021 gab es 23 Millionen Fehlgeburten, 1,9 Millionen Totgeburten, 5 Millionen Kinder, die vor dem 6. Lebensjahr verstorben sind. Ein unermessliches Ausmaß an Leid bei den trauernden Eltern und eine Vielzahl von Menschen, die möglicherweise die Kriterien eines Ersatzkindes erfüllen und unerkannt unter diesem leiden. Während meiner Teilnahme am britischen Psychotherapieforum „The ‘Replacement Child’: Clinical work to reclaim the self*“ mit Kristina Schellinki und Zach Eleftheriadou am 19.2.2024 erlebte ich, wie einige Psychotherapeuten und Psychoanalytiker zum ersten Mal sich selbst als Ersatzkind erkannten und von dieser Erkenntnis überrascht wurden. Die Dunkelziffer jener, die Zeit ihres Lebens unter ungeklärten Symptomen leiden und sich ihres Schicksals als Ersatzkind nicht bewusst sind, dürfte auch in Deutschland hoch sein.
Es gibt nach ersten Recherchen in Deutschland keine weiteren Experten zu dieser Thematik. Aktualität ist gegeben, da die Thematik gerade erst in die Öffentlichkeit gelangt.
Mit dieser Internetpräsenz möchte ich einen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstmachung leisten, der möglicherweise zahlreichen Menschen dabei hilft, die Wurzel ihrer Schwierigkeiten zu erkennen und sich eine geeignete Behandlung zu suchen. Es wäre schön, wenn er auch bei Ärzten, Pädagogen und potenziellen Eltern insofern Einfluss hätte, als dass eine überstürzte Empfängnis nach dem Verlust eines Kindes verhindert werden kann und/oder in der Erziehung des nachfolgenden besonders darauf geachtet wird, dessen Individualität anzuerkennen.
Ich sah während des Brighton Therapy Forums am 19.02.2024, wie verschiedene Männer und Frauen erstaunt und erleichtert antworteten, dass sie nun auch sich selbst besser verstünden und eine Ahnung hätten, in welche Richtung sie weitersuchen müssen. Neben der allgemeinen Aufklärung über ein interessantes Thema möchte ich diesen Effekt gern bei einigen Lesern erreichen.
Ich gebe hier auch tiefe Einblicke in meine eigene Biografie. Dies, da ich selbst eine ungeheure Erleichterung erlebte, als ich mich in den Schilderungen anderer Ersatzkinder wiedererkannte. Ich war nicht allein!
Und dennoch ist jeder Weg einzigartig. Mein ganz persönlicher ist sehr getragen von Glaube, von Kreativität und Intuition. Anderen Menschen wird ein eher rationales Verstehen hilfreich sein. Auch das ist in meinen Augen der Zauber der Individuation: Ein Heraustreten aus vorgefertigten, vorgegebenen Formen, hinein in unser ureigenstes Erleben. Erkennen – entdecken – erfahren. Es sind überraschende Momente, wenn wir sehen, was wir schon immer wussten.
Das Abenteuer, der Mensch zu werden, der wir wirklich sind.
Vorträge / Referenzen:
Dieser Vortrag ist auf: Deutsch